Selbstvernichtung
Wir gehen die Straße hoch, sie taumelt leicht. Nach dem Joint den wir vor einer halben Stunde geraucht haben geht es ihr nicht mehr so gut, sie meint sie fühlt sich schwer, würde sich gerne direkt in ihr Bett legen. Als wir bei ihr sind legen wir uns ins Bett, sie dreht sich von mir weg, das Gesicht zur Wand gedreht, und schläft direkt ein.

Und jetzt liege ich hier, neben einem Menschen den ich kaum kenne, der mich kaum kennt. Und ich bin ihr näher als ich in letzter Zeit jemandem nah war, und sie ist mir näher als jemand in letzter Zeit nah bei mir war. Aber da sind keine Gefühle, keine guten, keine schlechten, ich fühle gar nichts. Vor ein paar Monaten hatte sie beinahe heraus gefunden dass ich suizidal bin, aber das hat sie schon komplett vergessen, die Sorgen die sie sich 5 Minuten lang gemacht hatte sind weg, ich bin einfach nur noch ein normaler Freund an dem nichts außergewöhnlich ist.
Ich schaue ihr zu wie sie schläft. Eigentlich würde ich sie gerade gerne küssen, aber sie sieht so friedlich aus und ich möchte sie nicht stören. Wer weiß welche uns allen verborgenen Welten sie gerade erkundet. Dann sehe ich sie zum ersten mal wirklich: die Dunkelheit, die mich schon Seit Wochen keine Sekunde aus den Augen lässt, alles beobachtet was ich tue und nur auf den richtigen Moment wartet zuzuschlagen. Jetzt ist dieser Moment gekommen.

Jetzt bin ich wieder an diesem Punkt. An dem ich schreibe, dass ich die letzten Monate nichts gefühlt habe außer diese alles verschlingende Leere, nur unterbrochen durch das zerplatzen meines Kopfes damit meine Gedanken endlich atmen können. Ich bin wieder an dem Punkt an dem ich auf Musik, Sex, Drogen, Sport etc. zurückgreife um etwas zu fühlen. Aber nichts funktioniert. Nichts berührt mich, egal wie sehr ich versuche achtsam zu sein. Schon lustig wie häufig ich hier stand, wie häufig ich hier noch stehen werde.

Zwei Stunden später – sie schläft immer noch – halte ich es nicht mehr aus. Ich möchte nicht dass sie aufwacht und sieht wie ich weinend neben ihrem Bett sitze, den Kopf auf die Hände gestützt. Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen macht, dass ihr Bild von mir zerbricht und sie sieht wer und was ich wirklich bin. Was ich auch bin, neben dem was sie schon von mir weiß. Ich möchte nicht dass sie enttäuscht ist wie wenig ich wirklich funktioniere.
Ich gehe ohne sie zu wecken, schließe die Tür hinter mir und mache mich auf den Weg zum Nachtbus. Ich sitze alleine im Bus, nur ein paar betrunkene Jugendliche steigen nach einigen Stationen ein, aber ich beachte sie nicht wirklich. Ich bin nicht mehr high, aber ich fühle mich dennoch merkwürdig. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern wo wir vor 10 Minuten entlang gefahren sind, oder wie ich überhaupt zur Bushaltestelle gekommen bin.
Als ich aus dem Bus aussteige kann ich die Tränen nicht mehr zurück halten. Meine Gedanken haben mich zu stark gequält, mir zu häufig klar gemacht dass es keine Hoffnung gibt, dass ich nie etwas fühlen werde außer diese Leere und den Schmerz der Verzweiflung.

Jetzt stehe ich hier auf der Straße, es ist 2:23 Uhr. Und ich weiß nicht in welche ich einbiegen soll. Links geht es zu meiner Wohnung, rechts zu den ca. 50 Meter entfernten Bahngleisen. Ich sehe wie sich die Schranken schließen und die Ampel rot aufleuchtet. Ich kann mich nicht entscheiden. Es gibt so viele Gründe endlich ein Ende zu setzen. Aufzuhören zu leiden. Ich suche nach Gründen für die es sich noch lohnt zu leben, denke an meinen Bruder und an meinen Vater, an alte Freunde und schöne Tage. Aber die Stimmen sind zu laut, lassen nicht zu dass ich Hoffnung habe, radieren alles aus, zeigen mir das ich nur eine Belastung bin und es jedem ohne mich besser gehen würde. Das es besser ist wenn ich nicht mehr bin.

Meine Beine fangen an zu laufen, biegen in die linke Straße ein die zu mir nach Hause führt. Ob aus Gewohnheit oder Selbsterhaltungswillen weiß ich nicht. Meine Gefühle sagen mir dass ich die Richtung wechseln soll, umdrehen und in die andere Straße einbiegen soll. Aber ich schreie mich selbst an dass ich einfach weiter gehen soll, lautlose Verzweiflung soll meinen Körper einfach weg von der Entscheidung bringen. Einfach weiter gehen. Geh weiter. Geh weiter. Geh weiter.

Irgendwann bin ich in meiner Wohnung, ich schließe die Tür hinter mir ab und werfe den Schlüssel in eine Ecke, nur um nicht in Versuchung zu kommen doch wieder raus zu gehen. Ich bin in Sicherheit vor mir selbst.


Solche Abende hatte ich in letzter Zeit wieder häufiger. Aber ich habe den Selbstmord bis heute nicht durchgezogen, jedes Mal ist irgendeine Erinnerung aufgetaucht die mich dazu gebracht hat weiter zu Leben. Nicht von der Brücke zu springen. Nicht abzudrücken. Die Pillen nicht zu schlucken. Aber gestern Abend war etwas anders. Ich habe zu ersten Mal nichts gefunden was mich weiter machen lässt. Keine Erinnerung, kein Gefühl oder sonst etwas. Mein Körper hat für mich entschieden, auch wenn mein Verstand etwas anderes wollte. Das Alles fühlt sich so an als ob ich noch einen Schritt weiter auf den Abgrund zugegangen wäre, als ob noch weniger da ist was mich vor mir selbst aufhalten kann.


Ich habe Angst. Angst vor den kommenden Wochen. Das sich nichts bessert, ich nichts fühle. Mein Zustand so bleibt wie jetzt. Ich weiß nicht wie ich so weiter machen soll.



I've never felt a pain in life so hollow.