Donnerstag, 26. Februar 2015
Adrenalin
Auf dem Weg nach Hause. Es ist halb 3 nachts. Ich fahre mit meinem Fahrrad durch den Wald einen steilen Berg herab. Es ist dunkel. Keine Laternen. Keine Menschen. Nichts. Ohne das Licht meines Fahrrads und der schwachen Beleuchtung meines Tachos würde ich den Boden nicht sehen. Ich rase den Berg herab. Ich bin komplett nüchtern – und dennoch betrunken. Betrunken von dem Gefühl in meinen Adern. Ich spüre das Adrenalin pulsieren. Jeder einzelne Muskel ist angespannt. Ich bin wach und dennoch in Trance. Mein Tacho zeigt 45km/H an. Die Kette in den höchsten Gang geschaltet. Ich fahre so schnell ich kann. 47. 48. 52. Der Weg, der Wald und die gesamte Welt scheinen dunkel zu sein. Ich sehe nichts, höre nichts, spüre nur die Anstrengung und den Wind in meinem Gesicht. Ich nehme meine Umwelt nicht mehr war. Es gibt nur noch mich, den Weg ins Nichts und den Wind, welcher mich trotz der Anstrengung erschaudern lässt. 53 Stundenkilometer. Viel zu spät bemerke ich, dass ich wieder in bewohntem Gebiet bin. Die ältere Frau und ihren Hund bemerke ich noch später. Ich drücke mit aller Kraft in die Bremsen. Die Anstrengung, sich auf dem Fahrrad zu halten ohne das Gleichgewicht zu verlieren ist immens. Jeder Muskel brennt. Ich klammere mich an den Lenker um die nächstgelegene Hauswand nicht mit meinem Gehirn zu bemalen. Endlich bleibe ich stehen. 3 Meter hinter der Frau und ihrem Hund, welcher mir aus dem Weg gesprungen ist. Ich steige ab und gehe zu der Frau. Der Blick welcher mich erwartet ist bleich. Sie ist weit über siebzig. Der Schock steht ihr ins Gesicht geschrieben. Mit einer Stimme, welche tiefer ist als die Dunkelheit des Waldes welchen ich soeben verlassen habe fragt sie mich: 'Sind sie eigentlich Lebensmüde?'. Ich schaue die Frau einfach an. Ihr Hund regt sich nicht. Sekunden verstreichen. Keiner sagt etwas. Die Frau wirkt verängstigt. Irgendwann, nach langen Augenblicken des Schweigens öffne ich meinen Mund. Mein Herz schlägt wieder im normalen Tempo. Alles fühlt sich an, als ob es in Zeitlupe passieren würde. 'Ja, das bin ich.' antworte ich ihr. Ich drehe mich um, steige wieder aufs Fahrrad und verschwinde in der Nacht.



Wo genau befindet sich der Unterschied zwischen diesen beiden Extrema, dem Leben und dem Tod? Wodurch kennzeichnet sich das Leben? Dadurch das wir leben? Wir leben nicht. Wir überleben. Jeder tut es. Du tust es gerade in diesem Augenblick, in welchem du diesen Text liest. Und ich tue, indem ich gerade diesen Text schreibe. Wir leben nicht. Wir überleben. Der Mensch ist ein Gewöhnungstier : er macht immer nur die Dinge, welche er schon einmal getan und als 'positiv' empfunden hat. Dadurch gerät jeder von uns in eine Alltagsroutine, in welcher wir vor uns hin leben, ohne lebendig zu sein. Wir stehen jeden Tag auf, und tun genau das gleiche wie am Tag davor, und am Tag davor, und am Tag davor. Lebendig sein! Dieses Leben ist kurz genug. Wir sind alle irgendwann Erinnerungen, nicht mehr. Gibt es einen Sinn in einem Leben, welches eines Tages ein Ende hat?

Wenn ich sterbe, und alles um mich herum verschwindet, dann bleibt nichts von mir übrig, außer Erinnerungen. Egal wie 'gut' oder 'schlecht' ich in meinem Leben gelebt habe, egal ob ich Hitler oder Mandela war, ich werde eines Tages eine Erinnerung sein. Wenn wir uns vor Augen führen, dass jeder Moment im Leben einzigartig ist (da es nur Zukunft und Vergangenheit gibt), wird alles besonders. Jeder Moment zählt. Extreme körperliche Anstrengungen lassen mich kurzzeitig lebendig sein. Das Brennen der Muskeln, der Schmerz und das Adrenalin. Mein Körper ist eine Maschine, welche immer wieder ihren Treibstoff benötigt. Jeder Moment in diesem Leben sollte darauf ausgelegt sein, lebendig zu sein. Lebendig im Sinne von Leben. Im Sinne davon, einen Augenblick so zu prägen, als dass uns die Erinnerung an ihn glücklich macht. Wir bereiten uns durch Schule und Arbeit unser ganzes Leben lang darauf vor, irgendwann frei und unabhängig sein zu können. Jedoch rauben wir uns nur unsere Freiheit. Und wir verschwenden unsere Lebenszeit damit, Dinge zu tun, welche uns letztendlich keine positiven Erinnerungen hinterlassen werden.

Ich fürchte nicht den Tod, warum auch, für mich wird es am einfachsten sein. Ich fürchte das Leben.
Mich weckt kein Interesse. Ich bin Lebensmüde. Ich bin in meinem Leben gefangen. Ich will leben, nicht überleben. Das Leben wird besonders und einzigartig durch die Momente, welche wir in Erinnerung behalten. Nicht durch das was alltäglich und durchschnittlich ist. Ich will raus aus dieser engen Welt, welche nur aus Zäunen und Uhren besteht. Ich gehe dazu über, jeden Moment so zu leben, als ob es mein letzter wäre. Ich weiß nie wann es vorbei ist. Ich nutze die Zeit welche mir gegeben ist. Ich will keine Zeit verschwenden. Nicht überleben. Ich will leben. Ich überwinde alles was mich zurück hält und sprenge die Ketten auf. Ich höre wie der Wind meinen Namen ruft. Ich lasse alles hinter mir. Alles was mir über das Leben gesagt wurde.




Dieser Weg führt weit von dem Weg was ich kenne, was mir lieb und vertraut ist. Ich weiß nicht wohin ich gehe, und ich weiß nicht, ob ich zurück kommen werde. Und jedes Mal, wenn ich verzweifle, und mir mein Leben sinnlos und aussichtslos vorkommt, erinnere ich mich an meinen Traum zu Leben. Ich lebe.











Es ist Zeit sich daran zu erinnern, wie es ist, lebendig zu sein.